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Monergismus

Monergismus 2589 10.24894/HWPh.2589 Martin Arndt
Schulen, Strömungen und Positionen Theologie
Monergismus (griech. μόνος allein, einzig; ἐνέργεια Betätigung, Wirkung). Der Begriff ‹M.› wird in die Dogmengeschichte von A. von Harnack eingeführt und bezieht sich auf die christologische Anschauung des 7. Jh., die sich als politisch mitbedingte, die Bemühungen des Kaisers Heraklius (610–641) und des Patriarchen von Konstantinopel, Sergius, um eine Union mit den Monophysiten unterstützende Reaktion auf die chalcedonensische Lehre über das Verhältnis der göttlichen und menschlichen Natur in Jesus Christus entwickelte [1].
«Die Frage war ..., ob Christus als Gottmensch eine Energie oder zwei Energien, einen Willen oder zwei Willen gehabt habe. Die monergetische Lehre ist in ihren Anfängen erstickt worden zugunsten des Monothelismus, aber sie lebte zugleich in diesem fort ...» [2].
Die vom Monophysitismus vertretene Theorie von der Einheit der Natur (μία φύσις) in Jesus Christus nach der Einigung (ἕνωσις) des Logos mit der menschlichen Wirklichkeit glaubt in der Formel «eine Wirksamkeit» (μία ἐνέργεια; lat. una operatio) zur Beschreibung der Wirksamkeit Jesu seine Theologie wiederzufinden [3]. Der M. leugnet die Selbständigkeit der menschlichen Seite Jesu Christi zugunsten einer alleinigen Wirkkausalität des göttlichen Logos als des einzig Tätigen (τεχνίτης, δημιουργός; lat. opifex, Creator): μία ἐνέργεια, ἧς τεχνίτης καὶ δημιουργὸς ὁ Θεὸς, ὄργανον δὲ ἡ ἀνθρωπότης[4]. Der von Sophronius gegen den M. erhobene Vorwurf einer apollinaristischen Verkürzung der Menschheit Jesu Christi intendiert die Gleichstellung der göttlichen und menschlichen Wirksamkeit Jesu in Analogie zu der chalcedonensischen Gleichstellung der göttlichen und menschlichen Natur (Θεὸς ἀληθῶς καὶ ἄνθρωπος ἀληθῶς). Die Schwierigkeit, einen Ausweg aus dem Widerstreit eines christologischen Monismus (Monergismus, Monotheletismus, Monophysitismus) und eines christologischen Dualismus (Nestorianismus) zu finden, führt zunächst zu kirchlichen Schweigegeboten [5] bzw. zu kaiserlichen, monophysitisch orientierten Edikten [6], die in der römischen Kirche aber auf Ablehnung stoßen, zum Teil unter Bezugnahme auf die Äußerung von Papst Leo I. (440–461): «Agit enim utraque forma cum alterius communione, quod proprium est» (Jede Wesensform [Christi] wirkt in Gemeinschaft mit der andern, wie es ihrem Wesen entspricht) [7]. Zu dem entschiedensten Gegner des M. wird unter Berufung auf neutestamentliche Stellen [8]Maximus Confessor, der die Selbständigkeit der Menschlichkeit Jesu gegenüber ihrer monergistischen Reduktion auf ein bloß abhängiges Organ des alles erst bewirkenden und absorbierenden Logos verteidigt und die die Inkarnation zu einer Fiktion (φαντασία) degradierenden Konsequenzen des M. durchschaut. Der M. löst die Gemeinsamkeit von Jesus und den Menschen auf und enthebt den Heilsvorgang des Bezuges zur irdischen Wirklichkeit des Menschen, indem er die menschliche Wirklichkeit – «wie Hunger und Durst, Schweiß und Tränen, Müdigkeit und Furcht» [9] – erst durch einen künstlichen, sekundären Akt der Aneignung (οἰκείωσις) – «wie zur Übernahme einer Rolle» [10] – zu einer Wirklichkeit Christi werden läßt. Er rechtfertigt die menschliche Wirklichkeit also nicht schöpfungstheologisch, sondern begründet sie in einem außergewöhnlichen Akt des göttlichen Willens (λόγῳ οἰκονομίας τοῦ λόγου) [11]; die μία ἐνέργεια hat also ihren Grund in dem ἓν Θέλημα. ἔτι ἐκινεῖτο ἐν Χριστῷ τὰ ἀνθρώπινα ... τῇ δυνάμει τοῦ λόγου (Ferner wurde in Christus das Menschliche bewegt durch die Kraft des Logos) [12]. Vielleicht – so mutmaßt Seeberg – steckt hinter der doketischen Sprödigkeit des M. gegen die irdische Wirklichkeit ein manichäischer Restbestand [13]. – Auf dem Laterankonzil von 649 wird unter Martin I. die Lehre von den zwei Willen (duae voluntates) und den zwei Wirkungsweisen (duae operationes) festgestellt und auf der 6. ökumenischen Synode in Konstantinopel 680/681 akzeptiert (δύο φυσικαὶ ἐνεργείαι ἀδιαιρέτως, ἀτρέπτως, ἀμερίστως, ἀσυγχύτως) (Zwei natürliche Kräfte: ungemischt, unwandelbar, untrennbar, ungeteilt) [14]. – Losgelöst von den christologischen Auseinandersetzungen des 7. Jh., wird der Begriff ‹M.› für die Lehre von der als gratia praeveniens angesprochenen Alleinkausalität Gottes im Heilsprozeß gebraucht [15].
[1]
A. von Harnack: Lb. der Dogmengesch. (51931) 2, 425ff.
[2]
R. Seeberg: Lb. der Dogmengesch. (1965) 2, 288.
[3]
von Harnack, a.O. [1] 427 Anm. 2.
[4]
Zit. nach: D. Thomasius: Die Dogmengesch. der alten Kirche (21886) 381.
[5]
Vgl. C. J. von Hefele: Conciliengesch. (31877) 3, 121ff.
[6]
ebda.
[7]
Zit. nach von Hefele, a.O. [5] 122.
[8]
z.B. Mk. 7, 24; Mt. 26, 39.
[9]
Seeberg, a.O. [2] 275.
[10]
G. Krüger: Art. ‹Monotheleten›, in: Realencyklop. prot. Theol. und Kirche (31905) 13, 413.
[11]
Vgl. Joseph Schwane: Dogmengesch. der patrist. Zeit (21895) 396f.; vgl. Realencyclop. a.O. [10] 412.
[12]
Zit. nach W. Elert: Der Ausgang der altkirchl. Christof (1957) 225 Anm.
[13]
Vgl. Seeberg, a.O. [2] 274. 292; Hefele, a.O. [5] 184; W. Koehler: Dogmengesch. (31951) 164.
[14]
Vgl. Seeberg, a.O. [2] 299f.; Schwane, a.O. [11] 402ff.
[15]
z.B.: H. G. Pohlmann: Abriß der Dogmatik (1973) 191.