Quellgeist. Das Wort ‹Q.› ist eine Prägung
J. Böhmes, dessen Gebrauch aufsein Schrifttum beschränkt zu sein und keine Nachwirkung gehabt zu haben scheint. Sie ist kaum eine Reminiszenz an vorchristliche Wassermythologie und dämonistische Naturbelebung, sondern eine spielerische und semasiologisch schillernde Neubildung aus teils bedeutungsidentischen, teils bedeutungsverschiedenen ähnlich klingenden alten Wörtern wie ‹Quall›, ‹Quell›, ‹Quäl›, ‹Quel›, ‹Qual›, welche auf verschiedene Wurzeln zurückgehen (vgl. neuhochdeutsch ‹Quell› und ‹Qual›)
[1]. Die Wörter ‹Qualität› und ‹qualifizieren› mischen sich mit einer ebenfalls schillernden und künstlich etymologisierten Bedeutung ein. ‹Q.› ist ursprünglich soviel wie ‘hervorkommender, schaffender Geistʼ, ‘Ursprungsgeistʼ. Die sieben Q.er sind als aus Gott hervorgegangene Naturgeister die mit den sieben Leuchtern der Apokalypse (1, 12) verglichenen sieben dynamisierten «Qualitäten» oder «Umstände»
[2] des göttlichen Urgrundes
[3], die in den c. 8–11 der ‹Aurora›, einem mythologischen Personifikationsbedürfnis folgend und teilweise in Anlehnung an die antik-mittelalterliche Gustus-, Konstitutions- und Temperamentenlehre, eingehend beschrieben werden. Sie entspringen dem dynamischen Zentrum des «Qualles» Gottes
[4], der «aller Kräfte Quellbrunn in seiner Tiefe» ist
[5]. Sie sind: 1. der «grimmige Zorn-Quell» als «herbe Qualität»
[6]; 2. die «süße Qualität» oder «göttliche Kraft» oder «Quell der Barmherzigkeit Gottes»
[7]; 3. die «bittere Qualität», das «Herz», der «Ursprung der Beweglichkeit»
[8]; 4. «die Hitze», «die das Feuer gebäret»
[9]; 5. die «freudenreiche Liebe», das «freundliche Liebe-Licht-Feuer»
[10]; 6. «Schall oder Ton», Klang oder Stimme
[11]; 7. «der rechte Geist der Natur, ja die Natur selber, darinnen die Begreiflichkeit stehet»
[12]. Letztere ist insbesondere
die Matrix des Wassers, aus dem das göttliche Fiat die Welt geschaffen hat
[13]. Sie sind alle zusammen Gott, des Lichtes Vater
[14]. Jeder Q. hat (in Anlehnung an die Trinitätslehre!) «aller Q.er Art und Eigenschaften an sich», nur in einer bestimmten Kraftentfaltung «ist er Primus»
[15]. Sie sind – in Weiterführung Paracelsischer Theorien – der Ursprung der «Massa» des Kosmos, in der sie sich «qualificirten», der Elemente und des Menschen, dessen Leib durch sie ernährt wird
[16]; sie begreifen Himmel, Welt und Kreaturen in sich, da aus ihrem Corpus «alle Dinge gemacht» sind
[17]. Andere «figürliche Geister», die nicht aus dem ewigen Quellbrunnen stammen, werden von ihnen unterschieden
[18]. – Das Wort kommt noch bei
J. C. Lavater ohne spezifische Bedeutung allgemein für ‘schöpferische Vitalitätʼ («völlig ermangelnd an Leben und Quellgeist») vor
[19]. Offenbar hatten ferner Böhmes Q.er (wohl durch Vermittlung romantischer Dichtung) eine späte bedeutsame kunstgeschichtliche Nachwirkung auf
Ph. O. Runge (1777–1810), für den nach Möseneder das «Aufsteigen der Q.er Gottes» auch das «Aufsteigen seiner Bildgedanken» war
[20].